Kraxengestelle, Tragerucksäcke und Co.

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Montanara
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Kraxengestelle, Tragerucksäcke und Co.

Beitrag von Montanara »

Schon seit langem wollte ich hier etwas zu den Kindertragen, Fertigtragen, Kraxengestellen, Tragerucksäcken oder wie sie sonst noch heissen, schreiben.
Diese Teile sind beliebt, da sie relativ einfach in der Handhabung sind und man oft auch noch zusätzlichen Stauraum hat.
Es stellen sich aber oft immer wieder diesselben Fragen, meist im Zusammenhang mit Wandern im Sommer, dazu:
Sind sie empfehlenswert?
Worauf soll man beim Kauf einer solchen Trage achten?

Zuallererst:
Rufen wir uns die Anatomie eines Babys und die Anforderungen an eine gute Tragehilfe in Erinnerung. Wenn wir uns diese Dinge vor Augen führen, können wir klar erkennen, dass ein Baby in einer solchen Trage nicht gerade ideal sitzt.
Hier könnt Ihr ein 11 Monate altes Mädchen in einer Kraxe sehen.
Bild
Auffällig ist, wie die Beinchen nach unten zeigen. Von einer Anhock-Spreizhaltung kann keine Rede sein.
Auch der obere Rücken und der Kopf wird nicht gestützt. Immerhin schlackert das Kind nicht in der Trage herum, da die Riemen schön festgezogen worden sind. Dazu später mehr.
Man sieht auf dem Bild sehr schön, wie das Kind warm angezogen werden muss - die tragende Person bewegt sich, nicht das Kind! Und unter die Tragejacke passt so ein Ding nimmer... Es sind auch schon Kinder erfroren in solchen Tragen! Also niemals über längere Zeit rausgehen damit, wenn es kalt ist. Stell' Dir vor, wie lange Du es ohne Heizung, nur warm angezogen, sitzend auf einem Sessellift aushalten würdest... nämlich gar nicht so lange....!

Vom Kind und seiner Haltung her gesehen, sind dies Tragen also nur sehr eingeschränkt zu empfehlen. Für normale Wanderungen ohne grosses Gepäck reicht es, wenn z.B. der Papa einen Rucksack mit dem Gepäck trägt und die Mama das Kind im Tuch oder einer guten Komforttragehilfe, Mei Tai usw. Man kann dann für das Geschäft zwischendurch auch eine Umhängetasche oder eine Hüfttasche dazunehmen.

Warum denn nun trotzdem dieser Thread, wo doch rein vom anatomischen Aspekt her diese Tragen für das Kind nicht das Gelbe vom Ei sind?
Ab und zu kommt man in die Lage, sein Kind und viel Gepäck transportieren zu müssen. Unsere Familie beispielsweise besitzt eine Alphütte in der Südschweiz, die nur zu Fuss in etwa 80 Minuten Fussmarsch steil bergauf zu erreichen ist. Alles, was man braucht, muss hingetragen werden.
Oder eine Familie hat eine Vorliebe für mehrtägige Trekkings. Wenn man da nicht einer Person den ganzen Karsumpel an Klamotten, Windeln (sofern nötig), Mahlzeiten usw. aufbürden will, macht es Sinn, eine solche Trage dabeizuhaben.

Wenn man sich eine Kraxe kaufen möchte, sollte man auf folgende Dinge achten:
*Das Kind muss selbständig sitzen können. Darunter verstehe ich, dass sich das Kind aus eigener Kraft in das Sitzen begeben kann. Also nicht so, dass wir Eltern das Baby hinsetzen, und dann sitzt es - selber käme es aber noch nicht in diese Lage. Warum? Nur im ersteren Fall ist der Rücken genug entwickelt, um sich selber halten zu können. Die Stützung der Kinder ist auch bei engsten Riemeneinstellungen nämlich nicht besonders, ein schlafendes Kind neigt zum in-sich-zusammensacken. Daher sollte auf enge Reimeneinstellunge geachtet werden (s.u.).
*Sie nur selektiv einsetzen, also nur dann benutzen, wenn man sie wirklich braucht. Nicht wochenlang benutzen, die Haupttragehilfe soll eine orthopädisch korrekte Tragehilfe sein! Unter "selektiv nutzen" verstehe ich beispielsweise ein Wochenende-Trekking, oder auch ein längeres Trekking, wenn man an den Abenden beispielsweise dann das Baby im Sling oder Tuch oder Mei Tai tragen kann und nicht ausschliesslich mit der Kraxe trägt.
*Auf eine gute Polsterung achten, und zwar auch beim Kind. Der Rahmen soll gut gepolstert sein: Oft schlafen die Kleinen ein...Eine zusätzliche Stütze kann bei manchen Modellen vorne angebracht werden, wo das Kind hinsinkt, wenn es einschäft:
Bild
*Auf dem Bild sieht man auch den Vorteil eines Wetterschutzes deutlich. Kraxen mit einem Wetterschutz bevorzugen!
*Auf diesem Bild mit einerm 17 Monate alten Mädchen sieht man ausserdem ein weiteres wichtiges Detail: Gurten, mit denen das Kind angeschnallt werden kann und auch angeschnallt werden sollte. Wenn man sich als tragende Person mal bückt oder gar stolpert, kann nichts passieren.
*Die Kraxe soll stabil stehen können:
BildBild
Sie sollte allerdings auch auch mit Kind darin solide stehen! Hier sitzt - oder besser schläft - die damals 14 Monate alte Eva Sophia auf dem Monte Zucchero, und die Kraxe steht solide.
Bild
Klar, dass man das Kind nicht unbeaufsichtigt lassen soll, denn wenn es zappelt, wird die Trage umfallen. - Ein guter Stand ist sehr hilfreich, um das Kind in die Trage zu setzen oder herauszunehmen.
*Im Idealfall lässt sich der Sitz des Kindes entfernen. Das erleichtert die Reinigung.
Man kann hier zwei Tragen sehen, bei denen das der Fall ist.
Befestigung hinten:
BildBild
Befestigung vorne:
BildBild

Bei beiden Tragen schwebt der Sitz also in dieser Art:
BildBild copyright Transbach Ltd, Kilkenny, Ireland

Tragen mit dieser Art verstellbarer Sitz sind zu bevorzugen, weil man durch geschicktes Einstellen des Sitzes (auf dem Diagramm Nr. 1) eine minimale ASH in Kombination mit Fusstützen (s. u.) unterstützen kann. Ausserdem schwebt das Kind, es sitzt nicht auf einem fixen Sitz. Das nimmt die Stösse vom Träger her etwas weg.
*Es gibt Fusstützen:
Bild
Damit kann das Herumbaumeln der Beine verhindert werden, und damit allenfalls eingeschlafene Beine. Oft drücken die Sitze die Kinder und bringen die Beine zum Einschlafen. Mit Fusstützen kann dem entgegengewirkt werden. Ausserdem kann man damit eine Art ASH herbeiführen!

*Es ist sehr wichtig, dass man die seitlichen Riemen um das Kind herum zuzieht. Warum? Erstens bekommt das Kind so eine einigermassen passable Stüzung. Zweitens ist es für die tragende Person viel angenehmer: Die liebe Last zieht dann kaum nach hinten.
Man sieht auf der Strasse sehr viele Tragen, die hier schlecht festgezogen sind, und entsprechend schlackern die Kinder herum.
Ich meine diese Riemen:
Riemen seitlich offen:
BildBild
Riemen seitlich zugezogen:
BildBild

Im Idealfall sieht das Kind in der Trage so aus:
Bild
copyright Transbach Ltd, Kilkenny, Ireland

Ich würde die Fusstützen noch mehr anheben, um die ASH zu optimieren, aber man sieht, wie das Kind für eine solche Trage ganz gut gestützt ist.

In einer solchen Tragehilfe hat man das Kind nicht allzu nahe am Körper. Es ist eine Menge Gestell dazwischen. Der Schwerpunkt ist für die tragenden Person relativ weit hinten-oben; es wird einem nie gelingen, die Last wirklich eng an den Körper zu bringen, wie das bei einem Tragetuch der Fall ist. Gerade mit schwereren Kleinkindern kann das Tragen zur Last werden, besonders wenn noch viel Gepäck dabei ist.
Damit das Tragen möglichst bequem bequem sein soll, gibt es einige Punkte zu beachten, die für jegliches Tragen von grossen Rucksäcken gelten.
*Die Rückenlänge der Trage sollte wenn möglich zur Rückenlänge der tragenden Person passen. Ideal ist es, wenn die Rückenlänge anpassbar ist. Dies erweist sich dann als ideal, wenn beispielsweise Eltern unterschiedlich gross gewachsen sind und beide die Trage nutzen möchten. Mit ein paar Handgriffen lässt sich der Rucksack anpassen.
*Der Hüftgurt soll mittig auf dem Hüftknochen sitzen, damit er die Last optimal übertragen kann. Er darf nicht zu weich sein, sonst stützt er nicht richtig. Ideal ist es, wenn er innen, gegen den Körper, mit weichem Material gepolstert ist, gegen aussen aus einem härteren Material.
==> Generell bei der Polsterung darrauf achten, dass sie nicht aus weichem, schwammigen Material gefertigt wurde. In diesem Fall leiert das Material schnell aus und das Tragen wird zur Tortur. Es lohnt sich nicht, am Material zu sparen, der Rücken, die Schultern und die Hüften danken es!
*Wenn die Schulterträger in der Länge angepasst wurden, der Hüftgurt geschlossen, dann kommt ein ganz wichtiger Riemen zum Zug: Der Lastausgleichsriemen. Er geht von einem Punkt knapp unterhalb des obersten Punktes der Schultern schräg nach oben-hinten und ist an der Trage befestigt. Damit kann man sich die Last nahe an den Körper holen. Idealerweise beträgt der Winkel um die 45°Grad herum, wie aus der Zeichnung ersichtlich.
Bild
copyright Transbach Ltd, Kilkenny, Ireland

Ist dieser Riemen zu lose oder geht im falschen Winkel ab, zieht es unangenehm nach hinten und die Schultern werden leiden....
Noch ein Trick zum Schluss. Da, wo bei der Person auf der Zeichnung die Hand sitzt, gibt es bei den guten Tragen noch ein Riemen zwischen Gestell und Hüftgurt. Man kann ihn gut auf jenem Bild oben sehen, das ich zum Zeigen der Fusstütze eingefügt habe. Auch diesen soll man zuziehen. Dadurch bringt man das Gewicht viel besser auf den Hüftgurt, je nach Modell des Rucksackes entlastet das die Schultern ziemlich.

Ich hoffe, Euch mit diesem Beitrag weiterhelfen zu können.

Schöne Trekkings und herzliche Grüsse
Dorothea
Zuletzt geändert von Montanara am 23.04.2008, 20:41, insgesamt 1-mal geändert.
hausgeburtserprobte, langzeitstillende und kinderwagenfreie Mutter von Eva Sophia (Mai 2002) und Susanna Martina (Sept. 2004)
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kzoo
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Beitrag von kzoo »

Danke Dorothea, fuer die ausfuehrliche Anleitung.

Fuer uns leider zu spaet.. wir haben uns vor ca. 2 Jahren eine gekauft und lange geschaut. Solche eine Anleitung haette uns damals viel geholfen.
Wir sind aber sehr zufrieden mit ihr und benutzen sie immernoch auf laengeren Wanderungen. Wir haben den Watchtower Supreme (oder so). Das Topmodell von Jack Wolfskin (jedenfalls zu dem Zeitpunkt des Kaufes).
Wir haben schon Mehrtageshikes in den Alpen hinter uns gebracht (mit vielen Pausen) und unserem Grossen gefiel es immer darin. Nun ist er schon 3, passt aber immernoch gut rein, wenn er zu muede ist zum weiterlaufen. Fuer unseren Kleinen (3 Monate) habe ich ja das TT. Ich denke, damit kommen wir ein paar Berge hoch.

Danke nochmal.
Susanne
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isabel28
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Beitrag von isabel28 »

Danke Dorothea,

haben auch wie Susanne das Jack Wolfskin Modell und sind zufrieden und hat uns im Skiurlaub (papa ist gewandert und mama ski gefahren) sowie unseren Hamburg urlaub erleichtert.
Da papa kein tt und kein mei tai nutzen möchte ist das die lösung gewesen. werden übermorgen damit auch zum Wanderurlaub auf la palma aufbrechen.
Lg Isabel

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Nicht alles, was zählt, kann gezählt werden, und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt.
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Feleni
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Beitrag von Feleni »

Super, vielen Dank Dorothea!
Ich war schon gespannt auf den Bericht :D
LG U. mit M. und unseren Kindern J. (*07/06), M.(*11/08) und F. (*10/10)
Mein Blog Mien lütte Stuuv - aber eher privat jetzt
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Kaktus
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Beitrag von Kaktus »

Klasse Dorothea!
Danke schön für die ausführlichen Erklärungen :daumenhoch:


isabel28 hat geschrieben: ... werden übermorgen damit auch zum Wanderurlaub auf la palma aufbrechen.

da werd ich ja gleich ganz neidisch! :)
wir waren da vor zwei Jahren Mitte März (als ich ganz frisch schwanger war :D ) zum Wandern und fanden es einfach toll!
ich wünsch euch viel Spaß und einen wunderschönen Urlaub!
sorry für´s OT :oops:
viele Grüße
S. mit den beiden Jungs D. (11/06) & J. (02/10)
Lösche Benutzer 2152

Beitrag von Lösche Benutzer 2152 »

Wow, Dorothea, wieder sehr informativ. :bravo
Vielen Dank für die ganze Arbeit!
Lösche Benutzer 1092

Beitrag von Lösche Benutzer 1092 »

Sweetheart hat geschrieben:Wow, Dorothea, wieder sehr informativ. :bravo
Vielen Dank für die ganze Arbeit!

Dem schliesse ich mich an!

Vielen Dank!

Anke
Elise

Beitrag von Elise »

anke69 hat geschrieben:
Sweetheart hat geschrieben:Wow, Dorothea, wieder sehr informativ. :bravo
Vielen Dank für die ganze Arbeit!

Dem schliesse ich mich an!

Vielen Dank!

Anke


Dem schließe ich mich auch an :wink: !
Danke für die Mühe! Das hätt ich gern vor 11 Jahren gelesen, ich erinnere mich noch gut an unsere Kraxe von chic..! Autsch, mein Rücken!
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marscygale
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Beitrag von marscygale »

Danke für den Beitrag und deine Mühe. Habe aber festgestellt, dass so eine Kraxe nix für mich/uns is.
Grüsse
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Kinder achten mehr darauf, was die Eltern tun als was sie sagen. :D
Ulli and the tiger 27.10.06 und dem Vögelchen 03.06.2011.
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Dana
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Beitrag von Dana »

Kannst du denn ein bestimmtes Modell empfehlen?
Wir haben uns neulich bei Globetrotter das Deuter Kid Comfort II angesehen, wofür es seperaten Wetterschutz gibt. Allerdings hat das nicht besagte Fußschlaufen. Und das Kind hängt drin, wie in deinem ersten Bild.
Die Trage soll für eine 2-wöchige Pilgertour in Norditalien im Sommer für ein dann 1 Jahr und 3 Monate altes Kind benutzt werden.

Die Babysachen und die Mamasachen müssen ja auch irgendwie verstaut werden und können nicht alle auf Mitwanderer verteilt werden.
Ich habe das Teil auch mal mit Kind probegetragen, während mein eigenes Kind vorne im TT saß und fand es trotzdem sehr bequem. Bei TT auf dem Rücken bekomme ich immer sehr schnell Schulterschmerzen. Und die besagte Wandersfrau trägt normalerweise überhaupt nicht. Dementsprechend ist es auch ihr Kind nicht gewohnt.

Ich habe aber gesehen, wie wohl sich das Kind auf Mamas Rücken fühlte (im Gegensatz zum KiWa) und würde sie daher gerne in ihrem Vorhaben unterstützen. Sie möchte die Trage danach auch in der Stadt eventuell öfter benutzen.
mit den 3 Elfen 2007, 2010, 2013 und Little foot 9/18
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