Ich habe Deinen Thread angeklickt, weil mir auch mal (von einer Ärztin in der Kinderneurologie und später von einer Physiotherapeutin) vorgeworfen wurde, ich würde zu viel tragen und das Kind würde sich DESHALB nicht altersgerecht entwickeln.
Ich möchte Dich da beruhigen, was das Tragen anbelangt, aber durchaus aufmerksam auf die motorische Entwicklung Deiner Kleinen schauen lassen.
Bei mir war es das erste Kind, das motorisch entwicklungsverzögert war, und so wirklich ist mir erst drei Jahre später beim zweiten, motorisch normal entwickelten Kind (das ich übrigens - da gewichtstechnisch leichter - durchaus MEHR getragen habe als das erste) rückblickend aufgefallen, wie sehr der Große motorisch hinterher war (und immernoch ist). Die doch vergleichsweise kurzen Einblicke in die Entwicklung von Nichten, Neffen und Kindern von Freunden haben mir da nicht gereicht.
Es ist kein Leistungsdruck, der da aufgebaut wird, wenn eine Kinderärztin auf motorische Entwicklungsverzögerungen hinweist. Die Zeitfenster für die Entwicklung konkreter Motorik-Schritte sind ja nicht irgendeiner Vorschrift am Schreibtisch entsprungen, sondern entstehen genau andersherum:
Man schaut sich in groß angelegten Studien an, wie alt Kinder sind, wenn sie diesen oder jenen Entwicklungsschritt meistern, dann sortiert man das nach Alter in Monaten und Tagen - und daraus entstehen Perzentilen. Anhand dieser (beobachteten, NICHT vorgeschriebenen) Normalentwicklung kann man dann ablesen, ob das eigene Kind sich so entwickelt wie die meisten anderen Kinder seines Alters, oder ob es da hinterher ist.
Mir hat damals beim Großen diese WHO-Seite geholfen - die letzte große Studie diesbezüglich stammt von 2006:
https://www.who.int/tools/child-growth- ... milestones
In diesem Text werden sechs Entwicklungsschritte definiert (erst in einer Tabelle auf Seite 2, dann mit Bildern und ausführlicherer Beschreibung ab Seite 3):
https://cdn.who.int/media/docs/default- ... 81277ea7_0
Und dann kann man schauen in dieser grafischen Übersicht:
https://cdn.who.int/media/docs/default- ... ea3a0241_0
oder noch detaillierter hier in den Perzentilangaben:
https://cdn.who.int/media/docs/default- ... 81f3b60b_0
Da kann man dann ablesen, dass Kinder z.B. Krabbeln (im Sinne von auf Händen und Knien zielgerichtet bewegen mit abwechselnd linke-Hand-rechtes-Knie vorwärts [oder rückwärts] und dann rechte-Hand-linkes-Knie vorwärts [oder rückwärts], Bauch berührt dabei NICHT den Boden, mindestens dreimal in Folge in dieselbe Richtung) im Schnitt im Alter von 8,3 Monaten beherrschen, und 99% aller Kinder das mit 13,5 Monaten können.
Und wie gesagt, solche Normen sind
deskriptiv, nicht
präskriptiv. Von Leistungsdruck kann also keine Rede sein. Man ermittelt so lediglich Entwicklungsauffälligkeiten.
Ich bin völlig bei Dir bzgl. "das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht". Das sehe ich ganz genauso und habe deshalb auch nie "sitzen geübt" oder "Laufen geübt" an der Hand oder zum Stehen hochgezogen, sondern (abgesehen von kurzem, gut abgestütztem Sitzen auf dem Schoß zum Essen - das kann man einem Kind ja nicht verwehren, nur weil es erst mit 16 Monaten sitzen lernt z.B.) abgewartet, bis die Kinder sich jeweils selbst hinsetzen konnten, selbst hochziehen konnten, selbst frei losliefen, ... .
ABER: man kann sehr wohl sagen "Hmm, also dieses Gras wächst objektiv betrachtet wirklich unterdurchschnittlich schnell - Gras dieser Sorte wächst normalerweise so und so schnell" und dann schauen, woran das liegt, und ob man da ursächlich etwas tun kann (um im Bild zu bleiben: fehlt Licht? Wasser? ist der Boden zu stickstoffarm? gibt es einen Schädlingsbefall? ...?)
Und sich dazu fachliche Hilfe zu holen, ist ab einem gewissen Punkt einfach sinnvoll, da es für manche motorischen Entwicklungsschritte auch von der Gehirnentwicklung her sinnvolle Zeitfenster gibt, die ein Nachholen zu einem späteren Zeitpunkt erschweren können - oder die andersherum dann, wenn sie ausbleiben/verspätet kommen, die Entwicklung in anderen Bereichen verzögern können. (Die Krabbelphase ist durch die Rechts-Links-Koordination der Gehirnhälften z.B. so ein Schritt, und uns wurde - als unser Großer endlich krabbelte mit reichlich anderthalb Jahren - gesagt, wir sollten jetzt auf keinen Fall versuchen, ihn aus falschem elterlichen Ehrgeiz nn vorzeitig zum Laufen zu bringen, sondern ausgiebig krabbeln lassen.)
Bei uns kamen letzlich zwei Ursachen zusammen, die das altersgerechte Sitzen, Krabbeln, laufen, ... erschwert hatten:
1. KISS (die Physiotherapeutin hat das nach einigen Sitzungen glücklicherweise bemerkt, dass hier ein echtes Nicht-Können irgendeiner Art vorliegt was z.B. den Vierfüßerstand anbelangt, und uns ermutigt, einen Spezialisten aufzusuchen. Dieser eine Termin mit Röntgen, Untersuchung und zwei Sekunden Therapie war ein echter Durchbruch! Nach monatelangem Entwicklungsstillstand kam dann nacheinander ganz plötzlich Vierfüßer üben, und danach selbständiges Hinsetzen, Krabbeln, Hochziehen, ...).
2. eine Muskelhypotonie, die nicht heilbar oder ursächlich therapierbar ist, und z.B. maßgeblich dazu beitrug, dass stabil ohne Hilfe zu sitzen und selbst ins Sitzen kommen, halt erst mit 16 Monaten möglich wurden (Aufrecht mit erhobenem Kopf stabil sitzen ohne sich mit Händen abzustützen oder nach vorn Richtung Beine in Schräglage zu kommen, wenn man das Baby hinsetzt, können Kinder im Schnitt mit 5,9 Monaten - die 99. Perzentile liegt bei 9,2 Monaten).
Was ich sagen will: niemand will Deinem Kind oder Dir Stress machen. [Und wenn Dir jemand sagt, das späte Erreichen eines Entwicklungsschrittes liege am Herumgetragenwerden, kannst Du das (so Du Dein Kind nicht jeden Tag die meiste Zeit seiner Wachphase immer nur im Tuch hast und nicht rauslässt) getrost zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus lassen]. Aber wenn Entwicklungsschritte im objektiven Vergleich mit gesund entwickelten anderen Kindern spät erreicht werden, sollte man genauer hinschauen und Ursachenforschung betreiben, weil besondere Kinder manchmal etwas mehr Hilfe brauchen, und Entwicklungshemmnisse manchmal sogar komplett behoben werden können, wenn man sie erstmal kennt.
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Zum Stress mit dem Katzenklo noch: ich bin bis mindestens zum zweiten oder dritten Geburtstag nach dem Motto verfahren "eine Ja-Umgebung schaffen - Nein sagen muss man dann am Tag immernoch oft genug und das Kind kann nur eine begrenzte Zahl von Neins am Tag befolgen".
Es gibt frei stehende oder von Wand zu Wand führende Absperrgitter, die man um Kamin, Katzenklo, heißen Herd etc. herumführen kann, in weiß, schwarz, ... . In unserer großen Wohn-Ess-Küche hatten wir ca. 80% kleinkindsicher gemacht und die übrigen 20% mit einem Gitter (mit für Erwachsene einhändig zu öffnender Tür) vier Meter von Wand zu Wand abgesperrt, so dass ich beim hantieren mit scharfen Messern oder kochendem Wasser z.B. nicht spontan meine Zweijährige zwischen den Füßen hatte. Katzen kommen da locker drüber oder vielleicht bei Metallgittern sogar durch.
Ein U2- oder U3-Kind kann nicht zuverlässig lernen, sich von spannenden, leider gesundheitsschädlichen Dingen verlässlich fernzuhalten. Muss es aber auch nicht.