Grundinfo zur Durchführung von Stillproben

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jusl
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Grundinfo zur Durchführung von Stillproben

Beitrag von jusl »

Liebe LeserInnen im Stillforum,

als „Stillprobe“ wird bekanntlich das Wiegen des Babys direkt vor und direkt nach dem Stillen bezeichnet. Die Durchführung von Stillproben soll v.a. der Ermittlung der Trinkmengen dienen, die der Säugling beim Stillen aufnimmt. Allerdings ist eine methodisch korrekte Durchführung von Stillproben nicht einfach, deshalb gibt es an dieser Stelle einige grundlegende Informationen dazu.
Ich hoffe, diese Zusammenstellung ist hilfreich und trägt zur (Auf-)Klärung bei.

LG
Julia



Stillproben stellen einen vergleichsweise invasiven Eingriff in den Stillalltag dar. Ihre Durchführung selbst ist mit Risiken und Nebenwirkungen behaftet: Es ist möglich, dass sich bestimmte Stillprobleme durch die Durchführung von Stillproben verstärken, und es ist möglich, dass bestimmte Stillprobleme überhaupt erst durch die Durchführung verursacht werden. Auf Mütter haben Stillproben oft ungünstige psychologische Effekte, z.B. Gefühle wie Unsicherheit, Unzulänglichkeit, mangelnde Zuversicht, mangelndes Vertrauen in ihre eigenen mütterlichen Fähigkeiten, Angst durch die als „Prüfung“ erlebte Situation, in der sie „bestehen“ oder eben „durchfallen“ usw.
Deshalb dürfen Stillproben nur nach strenger Indikationsstellung durchgeführt werden. Dies entscheiden Eltern und Stillfachmensch stets GEMEINSAM.

Stillproben sollten NIEMALS durchgeführt werden…

* auf eigene Faust, d.h. Eltern wiegen im Alleingang ohne engmaschige, stillfachkundige Begleitung,
* aus Neugier (um „mal zu gucken, wie viel das Baby so trinkt“),
* bei Stillproblemen, die sich offenkundig nicht auf das Gedeihen des Babys auswirken,
* zur Bestätigung, dass auch WIRKLICH alles in Ordnung ist, ohne konkreten Anlass,
* als Druckmittel („Wenn Ihr Baby bei der nächsten Mahlzeit nicht mindestens XY ml trinkt, muss zugefüttert werden!“).


Wie macht man's richtig?


In den meisten Fällen reicht eine "normale" Dokumentation des Stillmanagements (diese umfasst für gewöhnlich: Stillhäufigkeit und -handhabung, Ausscheidungen des Babys und Gewichtsentwicklung). In seltenen Fällen ist es stillberaterisch sinnvoll, zusätzlich dazu auch noch Stillproben durchzuführen. Damit diese dann auch aussagekräftig sind, müssen einige Regeln bei der Durchführung beachtet werden, was Eltern durchaus vor nennenswerte Herausforderungen stellt. Diese Regeln werden hier allgemein formuliert; weil jeder Stillberatungsfall letztlich einzigartig ist, wird die konkrete Durchführung, insbesondere hinsichtlich Dauer und Häufigkeit, immer individuell festgelegt.


Bei der Durchführung von Stillproben gelten grundsätzlich folgende Regeln:

* Das Baby wird direkt vor JEDEM Stillen gewogen, und zwar in voller Kleidung usw. - eben so, wie es danach auch gestillt wird.

* Nach dem Stillen wird spontan entschieden: Baby jetzt wieder wiegen oder Baby in Ruhe lassen. Wenn es friedlich schläft oder sonstwie den Eindruck macht, dass es nicht gestört werden will, wird NICHT GEWOGEN!

* Zwischen vorher-Wiegen und nachher-Wiegen darf das Baby NICHT umgezogen werden, insb. darf KEIN WINDELWECHSEL stattfinden.

* Ein weinendes oder unruhiges Baby wird NIE auf die Waage gelegt.

* Nachts wird NICHT extra zum Wiegen aufgestanden.

* In den ersten beiden Lebensmonaten (bei Frühgeborenen bis 2 Monate nach ET) macht das Ganze nur Sinn auf Waagen, die auf 5 g genau wiegen. Wenn die Waage hingegen keine Einerstelle anzeigt, also die Anzeige z.B.: "3,45 kg" (= 3450 g) lautet, kann man's lassen, bzw. gleich würfeln ;-), denn das ist einfach zu ungenau.

* Verwendet werden dürfen ausschließlich moderne, elektronische und geeichte Babywaagen (z.B. aus der Apotheke). Sonstige Waagen wie Personenwaagen, Küchenwaagen, Briefwaagen, Hängewaagen usw. sind NICHT GEEIGNET.

* Je nach Indikation wird mindestens 2 Tage lang gemessen, mindestens 4 x pro Tag (möglichst über den Tag verteilt), und ingesamt mindestens 10 x, ehe die Messwerte beurteilt und Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.

* Nicht zulässig ist das Schließen von einigen wenigen Stillproben (oder gar nur einer!..) auf die Gesamttagestrinkmenge oder auf die durchschnittliche Trinkmenge pro Mahlzeit. Das wäre methodisch völliger Unfug, da Trinkmengen stark von Mahlzeit zu Mahlzeit schwanken können. Schwankungen sind normal und für sich genommen kein Zeichen für ein Problem.

* Notiert wird immer SOFORT nach jedem Wiegen: Erst die Uhrzeit des vorher-Wiegens, dann der dazugehörige Messwert in Gramm. Dann wird in Ruhe gestillt. Falls hinterher gewogen wurde, wird der hinterher-Messwert direkt neben den vorher-Wert geschrieben, ebenfalls in Gramm. Wichtig: nicht direkt die Differenz bilden, sondern immer erstmal BEIDE Messwerte hinschreiben! Subtrahiert wird später. Das Ganze sieht als Liste dann beispielsweise ungefähr so aus:

Zeit / vorher / nachher / Differenz
6:30 // 3530 g // 3545 g // 15 g
7:10 // 3535 g // -----
8:30 // 3525 g // ------
9:45 // 3500 g // 3530 g // 30 g
...


Um 7:10 und 8:30 wurde in diesem Beispiel zwar vorher gemessen, aber – warum auch immer – nach dem Stillen nicht, was völlig in Ordnung ist.
Keinen Sinn ergibt es, wenn vorher – warum auch immer (z.B. unterwegs gewesen) – nicht gemessen wurde, aber nach dem Stillen. Wenn es keinen vorher-Wert bei einer Mahlzeit gibt, braucht auch nicht hinterher gemessen zu werden.

* Die Analyse der Messwerte muss UNBEDINGT stillfachkundig begleitet werden. Eltern dürfen damit keinesfalls allein gelassen werden.

* Nach abgeschlossener Analyse müssen im Falle eines auffälligen Ergebnisses konkrete Handlungsempfehlungen für die Eltern folgen, die - falls von den Eltern gewünscht – STILLFREUNDLICH umgesetzt werden können. Die häufig gehörte Empfehlung „Die fehlende Milch muss dann halt mit der Flasche zugefüttert werden.“ leistet dies NICHT.
Falls die Analyse der Stillproben eine Zufütterindikation ergibt, soll notwendiges Zufüttern mit einer stillfreundlichen Methode passieren, um die Stillbeziehung zu schützen. Jede Fachperson, die die Durchführung von Stillproben „anordnet“, MUSS bereit und in der Lage sein, Eltern ggf. bei der Auswahl und Nutzung stillfreundlicher Zufüttermethoden zu beraten und zu begleiten.

* „Stillproben-Soll-Werte“ werden an dieser Stelle bewusst nicht angegeben, denn der Milchbedarf ist individuell, hängt von vielen Einflussgrößen ab und fällt entsprechend von Kind zu Kind unterschiedlich aus. Grundsätzlich gilt die Formel:
"Durchschnittliche Mahlzeitengröße x Anzahl der Stillmahlzeiten in 24 Stunden = Ungefähre Gesamttagestrinkmenge"

* Zwei realistische „Rechenbeispiele“ könnten folgendermaßen aussehen:

1.) Ein 4 Monate altes, gut gedeihendes 5kg -Baby trinkt 12 mal täglich. Sein Körperbau ist zart, keine med. Besonderheiten. 5 Stillproben an einem Tag ergeben: 30 – 50 – 65 – 40 – 85 ml. Das sind durchschnittlich rund 55 ml pro Mahlzeit. Bei 12 Mahlzeiten ist also von einer Gesamttagestrinkmenge in der Größenordnung 650 ml auszugehen. Das ist ein normaler Wert, alles bestens.

2.) Ein 3 Monate altes 5kg-Baby mit auffällig niedriger Gewichtszunahme trinkt 7 mal täglich. Seine 5 Stillproben ergeben ebenfalls(!) 30 – 50 – 65 – 40 – 85 ml. Hier ergibt sich entsprechend eine wahrscheinliche Gesamttagestrinkmenge in der Größenordnung 380 ml. Das ist mit Sicherheit zu wenig – hier muss stillberaterisch eingegriffen werden (Überprüfen dieses Ergebnisses an weiteren Tagen, dann Ursachenforschung, Verbesserung des Stillmanagements und Zufüttern).
Lollipop
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Re: Grundinfo zur Durchführung von Stillproben

Beitrag von Lollipop »

Danke für die Infos wir wollten wirklich aus Spaß Stillproben machen und haben es dank die gelassen.
Wir hätten uns sicher probleme gemacht wo keine sind.
Lollipop mit der Zaubermaus 06/13 und der kleinen Zaubermausnichte 02/14 und Babymaus 10/16

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Carraluma
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Re: Grundinfo zur Durchführung von Stillproben

Beitrag von Carraluma »

Julia, deine Erklärungen sind immer wieder super!

Gerade von der älteren Generation (auch Krankenschwestern) wird man ja häufiger mal nach Stillproben gefragt. Wohl mit ein Grund für die geringe Stilldauer der älteren Generationen. Zumindest hat meine Tante beim ersten Kind bald (nach ein paar Wochen) abgestillt, weil ihr das Vorher-Nachher-Wiegen, wozu grundsätzlich geraten wurde, zu umständlich war. Erst beim zweiten Kind hatte sie dann das Selbstbewusstsein länger (bis zu einem halben Jahr) zu stillen.
Carraluma mit der Tanzmaus (*2012), dem Waschbären (*2016) und der Quatschmaus (*2019)
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